Sozialstruktur und soziale Integration (Version 2014)
Auslaufender Studiengang
Kontaktpersonen
Inhalte
Die Sozialstrukturforschung ist eines der Kerngebiete der Soziologie, ihre Problemstellungen sind breit gestreut, wobei vor allem das Thema der sozialen Ungleichheit im Mittelpunkt steht.
Soziale Ungleichheit meint, dass Güter nicht für alle Mitglieder einer Gruppe oder Gesellschaft in gleichem Maße zugänglich sind. Diese Erfahrung prägt den Erfahrungshorizont aller historischen Epochen. Nach Zeitalter, Gesellschaftsordnung und Kultur variieren jedoch die Art der Güter, die zur Verteilung anstehen, der Wert, der ihnen beigemessen wird, sowie die Regeln, nach denen Teilhabemöglichkeiten strukturiert sind. Das Thema der sozialen Ungleichheit ist insofern nicht nur von empirischer, sondern auch von politischer und moralischer Bedeutung: Konflikte um die Verteilung sozialer Güter berühren unmittelbar das Alltagsleben, sie stehen im Zentrum des Politischen und bilden Kristallisationspunkte konkurrierender Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.
Von Sozialstruktur spricht die Soziologie in Hinblick auf die Bedeutung von sozialen Kategorien (z.B. Alter, Beruf, Bildung, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit) für die Beziehungen und den Austausch zwischen Individuen und Gruppen. Dass Frauen weniger verdienen als Männer oder seltener Führungspositionen einnehmen, ist ebenso wenig Naturgesetz wie die offensichtlichen Vor- und Nachteile, die Kinder aus der Tatsache der sozialen oder nationalen Herkunft ihrer Eltern ziehen. Den Gegenstand der Sozialstrukturforschung bilden also Fragen danach, wie soziale Ungleichheiten entstehen bzw. wodurch sie verursacht werden; welche sozialen Merkmale für eine soziale Position bzw. für die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen bestimmend sind und wie diese Determinanten zusammenspielen; welche sozialen Konsequenzen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene daraus erwachsen (etwa in Hinblick auf Einkommen, Bildung, Macht oder Prestige); und unter welchen Bedingungen es zu einer Veränderung (oder Umsturz) der Ungleichheitsverhältnisse kommt.
Der empirische Gegenstandsbereich der Sozialstrukturforschung schließt regionale, nationale, internationale und globale Phänomene ein. Im Zentrum stehen Analysen zur Verteilung ungleichheitsrelevanter Merkmale, etwa von Bildung, Einkommen, Konsum, von Sozialkontakten und Gesundheit, sowie zu den Bedingungen von Lebensqualität. Untersucht werden Prozesse der Klassen- und Milieubildung, auch unter Berücksichtigung von transnationalen Formen der Vergesellschaftung und Solidarität, sowie in Bezug auf soziale Mobilität (Aufstieg und Deklassierung im Lebenslauf sowie im Generationenvergleich). Analysiert werden die Effekte von technologischer Innovation und Globalisierung auf Produktionsprozesse (Flexibilisierungsanforderungen) und Beschäftigungsverhältnisse (atypische Beschäftigung; Prekarisierung), vielfach im Zusammenhang mit der Transformation des Wohlfahrtsstaates. Ein intensiv erforschtes Phänomen sind Mobilität und Migration und ihre Bedeutung für gesellschaftliche Kohäsion und Integration. Armut und soziale Ausgrenzung werden häufig auch hinsichtlich ihrer lokalen Ausprägungen im urbanen Kontext erforscht (Segregation, Wohnungsarmut, Gentrifizierung). Ein wichtiges Forschungsthema sind strukturelle Diskriminierung und Gewalt sowie gesellschaftliche Einstellungen (z.B. Gerechtigkeitsvorstellungen) und Ideologien (Sexismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamophobie, Rassismus).
Die theoretischen Ansätze sind vielfältig, sie knüpfen an unterschiedliche soziologische Theorietraditionen (Marx, Durkheim, Weber, Parsons) an, aktuelle Ansätze bemühen sich um eine Integration von Struktur- und Handlungsebene (Anthony Giddens, Pierre Bourdieu) sowie um eine stärkere Berücksichtigung der historischen Dimension (Charles Tilly, Immanuel Wallerstein) sowie der globalen und transnationalen Dynamiken (Volker Bornschier, Göran Therborn, Saskia Sassen, Ulrich Beck). Theorieansätze im deutschsprachigen Raum waren lange Zeit durch Schichttheorien (Theodor Geiger, Helmut Schelsky) sowie die Milieu- und Lebensstilforschung (Stefan Hradil, Michael Vester) geprägt.
Die methodischen Ansätze der Sozialstrukturforschung sind hauptsächlich im Bereich quantitativer Methoden angesiedelt (Querschnitts- und Längsschnittanalysen) und häufig komparativ angelegt, sie schließen aber auch qualitative Verfahren mit ein. Aktuelle Forschungen arbeiten vielfach mit integrierten mixed methods Ansätzen.
Ziele
Für Studierende, die Sozialstrukturforschung als Forschungsspezialisierung wählen, bietet das Masterstudium
- Vorlesungen zu aktuellen Entwicklungen und Problemen der Sozialstrukturforschung (z.B. Europäisierung und Globalisierung, Transnationalisierung der Ungleichheitsforschung, Intersektionalität, neue Ansätze der Migrationsforschung)
- Seminare (bzw. integrierte Lehrveranstaltungen) zu ausgewählten inhaltlichen Schwerpunktsetzungen sowie zur Vertiefung der Methodenkenntnisse
- Forschungspraktika in Anknüpfung an laufende Forschungsprojekte sowie mit speziellem Fokus auf eine anwendungsorientierte Verbindung von konzeptuellen und methodischen Kenntnissen
- Betreuung von Masterarbeiten in den Forschungsschwerpunkten.
Das Lehrprogramm des Instituts bietet derzeit inhaltliche Schwerpunktsetzungen zu folgenden Forschungsthemen:
Armutsforschung: Lehrangebote behandeln die Erforschung der (Ungleich-)Verteilung von Reichtum, neue Formen der sozialen Ungleichheit, Folgen der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und der neuen prekären Beschäftigungsverhältnisse, Aspekte der Lebensqualität.
Migrationssoziologie: Das Lehrangebot Integration; Lebenssituation der ersten und zweiten Generation; intergenerationelle Mobilität und Transmissionsprozesse; Diskriminierung
Stadt- und Raumforschung: Analyse von Segregations- und Gentrifizierungsprozessen; Wohnen und Nachbarschaft, Sozialraumanalysen.
Masterarbeit und Masterarbeitsseminare: Im Rahmen der Forschungsspezialisierung Sozialstrukturforschung besteht die Möglichkeit, Masterarbeiten im Rahmen von laufenden Forschungsprojekten durchzuführen.
Basisliteratur
Beck, Ulrich/ Poferl, Angelika, Große Armut, großer Reichtum: Zur Transnationalisierung sozialer Ungleichheit. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2010.
Burzan, Nicole, Soziale Ungleichheit. Eine Einführung in die zentralen Theorien, Wiesbaden: VS Verlag 2004.
Castel, Robert, Die Krise der Arbeit: Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums. Hamburger Edition 2011
Castel, Robert/ Dörre, Klaus, Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung: Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/ M.: Campus 2009
Haller, Max, Die österreichische Gesellschaft: Sozialstruktur und sozialer Wandel. Frankfurt/M.: Campus 2008.
Kronauer, Martin, Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus, Campus Verlag 2010.
Mau, Steffen / Verwiebe, Roland, European Societies. Mapping Structure and Change. Bristol: Policy Press 2010.
Mau, Steffen / Verwiebe, Roland, Die Sozialstruktur Europas. Konstanz: UTB/ UVK 2009.
Reinprecht, Christoph, Nach der Gastarbeit: Prekäres Altern in der Einwanderungsgesellschaft. Wien: Braumüller Verlag 2006.
Solga, Heike/Berger, Peter A./Powell, Justin (Hrsg.), Soziale Ungleichheit. Klassische Texte zur Sozialstrukturanalyse, Frankfurt/New York: Campus 2009.
Therborn, Göran, Inequalities of the World. New theoretical frameworks, multiple empirical approaches, London: Verso 2006.
Tilly, Charles, Durable Inequality. Berkeley, University of California Press 1990.
Verwiebe, Roland (Hg.), Armut in Österreich. Bestandsaufnahme, Trends, Risikogruppen. Wien: Braumüller Verlag 2011.
Willisch, Andreas/ Bude, Heinz, Exklusion. Die Debatte über die Überflüssigen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007.